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Am
25. Dezember gibt Farhad Draya im Audimax Hamburg ein Benefizkonzert
für die notleidenden Kinder seiner Heimat
Kabul am 13. November: Beim Friseur stehen die Männer Schlange,
um sich ihre Bärte abnehmen zu lassen. Im Basar kaufen Frauen
die hastig gefüllten Regale mit Make-up und Toilettenartikeln
leer. Und im Radio spielt Musik, zum ersten mal seit fast fünf
Jahren: "Lasst mich die Hymne der afghanischen Nation singen",
klingt es aus den Lautsprechern. Die afghanische Hauptstadt ist
von den Taliban befreit. Zögernd und unsicher, wie nach dem
ersten Regen am Ende der Trockenzeit, sprießen Pflänzchen
der Lebenslust durch die Kruste rigider Verbote und Tabus. Die Stimme,
die als erste über den Äther ertönt, gehört
Farhad Draya, dem beliebtesten Popsänger des Landes. Tags darauf
findet er über 150 Interviewanfragen aus aller Welt in seinem
elektronischen Briefkasten - und Tausende von E-Mails seiner Fans.
Am 1. Weihnachtsfeiertag kommt Farhad Darya zu einem Benefizkonzert
nach Hamburg.
"Lasst mich Lieder singen", fleht die Stimme aus dem Radio,
als Mittel gegen "die Qualen meines heimatlos umherwandernden
Volkes". Nicht nur in diesem Lied formt Farhad Daryas Gesang
die Worte für das Heimweh seiner über den ganzen Erdball
verstreuten Landsleute. "Kannst du eine Reise unternehmen ins
geliebte Kabul?", fragt ein Text aus der Feder des berühmten
afghanischen Dichters Qahar Asi, der 1994 in Kabul einem Raketenangriff
zum Opfer fiel. Darya, der die Musik dazu komponierte, nahm das
Lied in Paris auf. Es war das erste Jahr seines Exils.
Wie viele andere Künstler, denen der Bürgerkrieg die Arbeit
unmöglich machte, war er in den Westen geflohen. Sein erster
längerer Zwischenstopp war Hamburg. Anschließend lebte
er einige Jahre im Ruhrgebiet, wo er sich seine mittlerweile eingerosteten
Deutschkenntnisse erwarb - und, wie er schmunzelnd erzählt,
eine Verballhornung seines Vornamens, den Spitznamen Fahrrad.
Seit 1995 lebt der 39-jährige Sänger im US-Bundesstaat
Virginia. Unermüdlich bastelt er an neuen Projekten - gezeichnet
von chronischem Schlafmangel und getrieben von dem kaum zu stillenden
Bedarf seines umherwandernden Volkes nach Balsam für die verwundete
Seele. Kaum ein afghanischer Musiker ist so vielseitig und so ideenreich
wie Farhad Darya. Dies zeigt schon der Zickzack-Kurs seiner künstlerischen
Laufbahn. Er begann mit der Kunstmusik, die starke Anleihen bei
der nordindischen klassischen Musik macht. Dann vollzog Darya einen
Schwenk zur einheimischen Folklore, um schließlich beim Pop
zu landen. Dabei verwendet er volksmusikalische Stilelemente, vermischt
sie aber miteinander und gibt ihnen so einen neuen Kontext. Farhad
Darya will nicht Usbeken, Tadschiken und Paschtunen einzeln bedienen,
sondern vielmehr mit seinen Liedern Trennungslinien überwinden.
Hier wird seine sanfte Stimme ausnahmsweise etwas lauter: "Dies
ist der zentrale Punkt meiner Arbeit."
Farhad Daryas letzte CD enthält Songs für den Film "Foreign
Land", der exemplarisch den dornenreichen Weg ins Exil beschreibt.
Wie alle Vorgänger findet man auch diese Platte bei uns nur
in einem der afghanischen Supermärkte, die von Rosenwasser
bis zu Videos made in India alles verkaufen, was die Migrantenfamilien
brauchen.
Mehrere Monate im Jahr ist der Sänger nun unterwegs, von Melbourne
nach Mailand, von Stockholm nach London. Regelmäßig kommt
er auch nach Hamburg, wo er im vergangenen Jahr, unbeachtet von
der deutschen Öffentlichkeit, im fast ausverkauften Audimax
gastierte. Für den letzten September war im Hamburger Stadtpark
zum ersten Mal ein Auftritt angesetzt, der sich, mit Heinz Rudolf
Kunze als zweiter Attraktion, bewusst sowohl an das afghanische
als auch an das deutsche Publikum wandte. Ein drohendes Sturmgewitter
führte jedoch zur Absage des Konzerts.
Oft spendet Darya seine Gagen einer Organisation, die in den Flüchtlingslagern
in Pakistan und dem Iran Überlebenshilfe leistet. Er hat das
schon vor dem 11. September getan. "Ich denke weniger an die,
die hier leben", räumt er ein. "Ich bin einer von
ihnen, ich verstehe sie, ich mache die gleichen Erfahrungen wie
sie." Wozu auch gehöre, dass sie einen Teil ihres afghanischen
Wesens verlören. "Am meisten aber", sagt Darya, "sind
meine Gedanken bei denen, die in Afghanistan leben, im Iran, in
Pakistan, Russland, Indien".
Sein Konzert am 1. Weihnachtsfeiertag im Audimax dient wieder einem
guten Zweck. Der Erlös soll speziell den Kindern in seiner
Heimat zugute kommen. Das Geld geht an "Afghanistan in Not
e.V.", eine Spendeninitiative, die Hamburgs Ausländerbeauftragte
Ursula Neumann gemeinsam mit Vertretern der afghanischen Bevölkerung
in Hamburg ins Leben gerufen hat.
Saryas vierköpfige Band verwendet einen Synthesizer, verzichtet
aber darüber hinaus auf die elektronischen Hilfsmittel, deren
üppigen Einsatz Kenner dieser Musik häufig beklagen. Statt
dessen spielt das afghanische Nationalinstrument, der Rubab, eine
Art Laute, flankiert von zwei Perkussionisten, die Hauptrolle.
Was ändert sich für ihn, was ändert sich für
sein hiesiges Publikum, wenn in seiner Heimat eine neue Ära
beginnt? Farhad Darya hat für sich eine vieldeutige Antwort
gefunden: "Ich trage Afghanistan in meinem Herzen und auf meinen
Schultern."
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